Triptychon

Odyssee Europa

Odyssee Europa

Das Werk arbeitet mit dem Element der Tätowierung, dem kulturellen wie rituellen Stilmittel von Bild-/Textbe-zeichnungen auf einem Körper.

Die Art der Zeichensetzung auf dem eigenen Körper hat unterschiedliche Bedeutungen: vom schmückenden Element, zur Verstärkung sexueller Reize, als Zeichen von Abgrenzung und Exklusivität, wie auch der Symbolisierung von Zuge-hörigkeit zu einer Gruppe, zu einem Bekenntnis. Es ist wahr-scheinlich dass wohl jede Ethnie der Erde innerhalb ihrer Entwicklung die Sitte des Tätowierens kannte und ausübte.

Das Werk führt uns über seine Spannbreite von 4,60 Meter unterschiedliche Umsetzungen des Bezeichnenden vor: über naive, archaische Zeichen bis hin zu dekorativen Schmückungen.

Anna Kleeberg erzählt auf diesen drei Leinwänden eine Geschichte dieser kulturellen Verbindungen/Entwicklungen. Die Lesart ist von links nach rechts, also Europäisch.

Die frühesten Tätowierungen, die wir kennen, konserviert auf einer über 5200 Jahre alten Gletschermumie, „Ötzi“, zeigen uns insgesamt  61 blauschwarze  Einzeltätowierungen –  Kohlenstaub, in kleine punktförmige Wunden eingerieben. Genutzt wurden Linien im Lendenbereich, Streifen um den rechten Fußknöchel oder die Tätowierung in Form eines Kreuzes hinter dem rechten Knie. Manche der Tätowierungen befinden sich direkt auf den bekannten Akupunkturpunkten. Insgesamt ein außergewöhnliches Zeugnis der Beziehung zwischen Information und dem Körper als Medium.

Auf diese Herkunft nimmt Anna Kleeberg im linken Bild Bezug. Hier finden wir überwiegend diese naive/archaísche Form der Zeichen. Der Bildhintergrund kommt vom Dunkeln, Umge-stalteten her, ist die Folie, auf der sich dicht Körpersilhouetten überlagern, aneinander stoßen. Die Zeichen sind dominant. Es ist der Ursprung, man sieht sein Antlitz.

Mit der Rückreise von Christoph Kolumbus, 1492 wurde das farbige Nadelstechen in den menschlichen Körper wieder entdeckt und seitdem auf verschiedene Weise durch die weiteren Jahrhunderte kultiviert.

Diese Wiederentdeckung widmet sich das mittlere Bild. Im Zentrum des Triptychons finden wir den Werdegang von Informationen und den dekorativen Aspekt von Zeichen und Zeichnungen. Eine teilweise ornamentale Art der Darstellung erinnert an die Vasenmalerei der Mingdynastie. Der Körper wird immer stärker zur Hülle, zu reiner Form. Hier begegnen sich Motive, die man ebensogut aus der feudalen Tapetenmalerei, die Stickerei oder einer floralen Tätowierung kennt.

Im dritten Bildabschnitt verschmelzen Punkt und Linie zwischen Körper, Bildhintergrund und Zeichnung. Der Sinn des ursprünglichen Gedankens ist an dieser Stelle aufgehoben. Wir sind in der Modern angekommen. Das immer mehr modische und um seine rituellen Bedeutungen längst entkleidete, hat die Bildsprache übernommen. Die Figuren bilden sich mehr in der Tiefe ab, sie scheinen gleichzeitig auseinandergerückt, mit Gesten symbolisch auf sich verweisend. Die Farbstimmung ist hell und gleichzeitig im Auftrag transparenter. Die Szenerie löst sich auf.

Die Künstlerin wählt bewusst das Triptychon in seiner traditionellen Form und Technik als Andachts-/und Altarbild. Ein Altar, der hier für die Kultivierung unseres Codex, unserer Entwicklung von Zeichen wie Form und unserem Ursprung im Erbgut des Europäers steht.

So erhielt das Gemälde den Namen: „Odyssee Europa“.

In unseren Tagen dramatischer Veränderungen innerhalb Europas verstärkt diese Sichtweise die besondere Dimension von Identität und Veränderung in Kultur und (gegenseitiger) Wahrnehmung.

Eine der künstlerischen Aufgaben generell und eine der ganz besonderen, sensiblen Qualitäten von Anna Kathrin Kleeberg ist es, sich auf diese gesellschaftliche Handlungen zu beziehen, sie zu codieren und neu zu transformieren.

Ausgeführt in souveräner Maltechnik gelingt ein vitales, erzählerisches, wie ästhetisches Meisterstück.

Bernd Helber, Galerist und Sammler von Anna K. Kleeberg, Kunstkontor Wiesbaden, 23.11.2015